Kirche nimmt sich selbst in die Pflicht
Schutzkonzepte Judith Grosser geht beim Thema sexuelle Gewalt in der evangelischen Kirche vor allem auf Vorsorge ein.
VON HORST KUHN
GUNZENHAUSEN – Der Umgang mit sexualisierter Gewalt beschäftigt auch die evangelischen Kirchen hier vor Ort. „Jedes Gemeindehaus und jede Freizeit muss ein sicherer Ort sein für Kinder und Jugendliche“: So lautet das Ziel einer Kampagne zur Prävention von sexualisierte Gewalt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB).
Bei der diesjährigen Dekanatssynode im Lutherhaus in Gunzenhausen referierte Diakonin Judith Grosser über Risiko- und Potenzialanalyse und stellte diese den Synodalen vor. Sie war früher Dekanatsjugendreferentin im Gunzenhäuser Bezirk und ist jetzt Fachfrau an der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der ELKB.
Wann drohen Übergriffe?
Die wichtigsten Fragen für Judith Grosser sind: „In welchen Situationen drohen Übergriffe?“ Und: „Wo liegen die Risiken?“ Das sehen Menschen ganz verschieden – je nach Geschlecht, Alter und eigenen Erfahrungen. Betroffene kämpfen oft ein Leben lang mit Scham, Schuldgefühlen und Schweigen, ganz nach der Auffassung: „Mir wird nicht geglaubt“ Oder: „Ich bin mit meiner Erfahrung allein.“ Wichtig bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sei es, zu wissen, dass 30 Prozent der Täterinnen und Täter unter 18 Jahre alt sind – die sogenannte Peer-to-Peer-Gewalt. Die Aufgabe der Kirche sei es hier, eine kommunizierte Haltung im Umgang miteinander zu schaffen sowie im Umgang mit Sexualität und Partnerschaft Orientierung zu geben. Nur fünf bis 20 Fälle angezeigt Die Alltagskultur entscheide darüber, ob sich Betroffene trauen, sich zu äußern, oder ob Täter Strukturen ausnutzen können – und davonkommen. Gibt es bei uns eine offene Fehlerkultur, ein offenes Ohr für Rückmeldungen, Wünsche und Beschwerden? Nach einer Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen von 2020 werden nur fünf bis 20 Prozent der Fälle sexualisierter Gewalt angezeigt. Betroffene machten fast immer die Erfahrung, dass ihnen nicht geglaubt werde, auch im evangelischen Kontext.
Judith Grosser betonte: Betroffenen muss geglaubt werden, und Verdachtsmomente muss man ernst nehmen. Darum sollten Kirchen eng mit der Meldestelle und der Ansprechstelle für Betroffene sowie regionalen Beratungsstellen zusammenarbeiten. Für sie gelte es, klare Interventionspläne zu erstellen und Verantwortlichkeiten zu klären.
Fälle müssten individuell, institutionell und vor allem mit den Betroffenen aufgearbeitet werden. Aufarbeitung sei kein terminierbares Projekt. Aufarbeitung benötige Zeit, Ressourcen und Zugewandtheit. Das Risiko einer Falschverdächtigung sei hingegen sehr gering, bestehe aber laut Landeskriminalamt München in drei Prozent der angezeigten Fälle. Es müsse diskutiert werden, wie und ob sich zu Unrecht Beschuldigte rehabilitieren können. Auch dies gehöre zum Bestandteil von Schutzkonzepten.
Konzept und Schulung. Am Ende appellierte Judith Grosser: „Der Umgang mit sexualisierter Gewalt ist ein schwieriges und kräftezehrendes Thema. Es ist unumgänglich, dass wir uns dieser Herausforderung stellen. Wir können im Bereich Prävention sexualisierter Gewalt viel tun. Nicht alles auf einmal, dafür aber gewissenhaft und konkret. Schritt für Schritt gemeinsam vorwärts gehen.“
Das Präventionsgesetz sehe vor, dass jede Kirchengemeinde und deren Einrichtungen – Kindertagesstätten oder auch evangelische Schulen, aber auch Seniorenheime – ein Schutzkonzept erarbeiten und vorhalten müssen. Alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten eine Basisschulung zu diesen Thema besuchen.
Bis spätestens zum Ende des Jahres 2025 ist Zeit, das Schutzkonzept bei der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt der ELKB einzureichen.
Info
Wer selbst von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche oder in der Diakonie betroffen ist, kann sich bei der Ansprechstelle der ELKB unter der Telefonnummer (089) 5595335 oder per E-Mail an ansprechstelle@elkb.de melden.
Quelle: Altmühl-Bote Gunzenhausen, Ausgabe 19. März 2024
© Text und Foto: Horst Kuhn
Stellvertretender Dekan Walter Krewin mit Referentin Judith Grosser, den Dekanatspräsidiumsmitgliedern Jürgen Lechner und Cornelia Blendinger sowie Senior Pfarrer Benedikt Wolff (von links).